Oldies but Goodies # 33

Milt Jackson – «Opus De Jazz»

1955, also vor 66 Jahren, kamen fünf Klassemusiker für eine Art Recording–Jam–Session zusammen und improvisierten – von einer Ballade abgesehen – ausschliesslich über die 12–Takt–Blues–Progression.

Schon wieder ein verwirrender Plattenumschlag: Es spielen natürlich nicht zwei Vibraphonisten zusammen; und die zwei abgebildeten Instrumente entsprechen nicht einmal dem vom Milt Jackson verwendeten Modell. Deshalb wohl gab es zwischenzeitlich ein alternatives Cover mit einem Vibraphon und einer Flöte; das abgebildete Cover ist jedoch das Original, und mit diesem wird auch der Download/Stream angeboten.)


Doch wollen wir uns nun auf den Inhalt konzentrieren.

Die Musiker

Der Vibraphonist Milt Jackson (1923–1999) war in seiner Kindheit von viel Musik umgeben: «Meine Musikalität kam von der Kirche, von den religiösen Treffen unserer Gemeinde». Mit sieben Jahren begann er Gitarre zu spielen, mit elf Klavier. Während der High School spielte er Schlagzeug und Geige und sang im Chor. Mit 16 tourte er mit dem Gospel–Quartett «The Evangelist Singers». Als er Lionel Hampton mit dem Benny Goodman Orchester hörte, begann er Vibraphon zu spielen. Mit 22 wurde er von Dizzy Gillespie «entdeckt» und in dessen Bands integriert. Daraus entstand auch das Modern Jazz Quartet mit John Lewis, Ray Brown und Kenny Clarke. Letztere beiden wurden später durch Percy Heath und Connie Kay ersetzt. Jackson war bis zu seinem Tod aktiv und bespielte unzählige Alben. 


Der Flötist und Saxophonist Frank Wess (1922–2013) stammte aus einer Lehrerfamilie und wuchs in Kansas City auf. Er hatte eine Ausbildung in klassischer Musik, zog nach Washington D.C. und spielte 19–jährig in diversen Big Bands. Während des 2. Weltkriegs spielte er in einer Army Big Band. Danach studierte er an der Modern School of Music Querflöte und schloss mit Diplom ab. Von 1953 bis 1964 spielte er als Tenorsaxophonist und Flötist in der Count Basie Band. Auch er war bis zu seinem Tod enorm aktiv, war weltweit unterwegs und spielte mit unzähligen Jazzgrössen. 


Der Pianist Hank Jones (1918–2010) stammt aus einer musikalischen Familie: Zwei seiner jüngeren Brüder – Trompeter Thad und Drummer Elvin – wurden ebenfalls gefeierte Jazzmusiker. Hank bespielte über 60 Alben unter seinem Namen und wirkte auf unzähligen als Pianist mit. Auch begleitete er Marilyn Monroe, als sie «Happy Birthday, Mr. President» sang.


Der Bassist Eddie Jones (1929–1997) – er stammt nicht aus derselben Familie – war vor allem als Teil der swingenden Rhythm Section der Count Basie Band aktiv. 1962 gab er die Musik auf, um einen Job bei IBM anzutreten. Doch 55–jährig zog es ihn zurück zur Musik.


Der Schlagzeuger Kenny Clarke (1914–1985) stammte aus Pittsburgh. Seine Mutter war Pianistin, der Vater Posaunist. 1919 kam er zusammen mit seinem Bruder ins Waisenhaus für schwarze Knaben (der Vater war weggezogen, die Mutter plötzlich verstorben), wo er das Trommelspiel erlernte. Nach ungewöhnlichen «Lehr– und Wanderjahren» zog er 1935 nach New York, spielte neben Schlagzeug auch Vibraphon und wurde von Dizzy Gillespie ermuntert, seinen (damals) aussergewöhnlichen Drum–Stil zu verfeinern. Nach einem unglaublich ereignisvollen Leben zog Clarke 1956 definitiv nach Paris, wo er noch 29 aktive Jahre verbrachte.

Milt Jackson, Frank Wess, Hank Jones, Eddie Jones und Kenny Clarke.

«Opus de Jazz»

Dieses Album umfasst gerade mal vier Stücke und dauert total nur knappe 34 Minuten. Eigentlich hätte der Titel auch «A Masterclass in Blues» oder ähnlich heissen können, denn drei der vier Stücke sind 12–Takt–Blues (siehe weiter unten).


«Opus de Funk» von Horace Silver (Blues in F–dur) dauert über 13 Minuten und lässt viel Raum für Improvisation: Vibraphon, Flöte und Klavier solieren alternierend zuerst fünf, dann vier, drei, zwei und einen Chorus, bevor wieder das Thema und das Intro resp. Extro gespielt wird.


«Opus Pocus» ist ein Blues in Bb–dur und beginnt mit einer Basslinie, die in ähnlicher Form schon x–mal gespielt wurde und auch danach immer wieder gespielt wurde. Danach übernimmt jeder Solist vier Chorusse, bevor das Stück mit einem einfachen (nicht einmal besonders exakt gespielten) Riff endet. Frank Wess spielt in «Opus Pocus» Tenorsaxophon.


«You Leave Me Breathless», die einzige Ballade der LP, ist auch das einzige Stück, das nicht dem Blues–Schema folgt. Jacksons Solo, in dem er das Tempo verdoppelt, zeigt einmal mehr seine aussergewöhnliche Musikalität. Der letzte Chorus wird halbiert: Das Klavier soliert gleich in der Bridge, worauf ein ausgedehnter A–Teil der Melodie folgt.


«Opus and Interlude» ist insofern aussergewöhnlich, als das Stück Blues in F–dur und C–dur enthält, die jeweils durch einen Zwischenteil getrennt werden. Vibraphon und Klavier improvisieren in C–dur, während für das Flötensolo auf F–dur übergegangen wird. Es ist auch das einzige Stück, in dem Kenny Clarke in «Vierern» soliert.

Blues

Ohne Beweise dafür zu liefern, behaupte ich einfach mal: Die 12–Takt–Blues–Progression ist sowohl im Jazz als auch in Pop/Rock–Musik das meistverwendete Harmonieschema. Bestens bekannt dürfte der sogenannte Boogie–Woogie respektive die dazugehörige Basslinie oder linke Hand des Pianisten sein. Und auch um die 80 Prozent aller Rhythm–and–Blues– sowie Rock–n–Roll–Songs wie z. B. «Rock around the Clock» basieren auf diesen 12 Takten.

Drei Akkorde kommen in der einfachsten Bluesform vor.

Diese Harmonienfolge (oder Progression) stammt aus dem sogenannten «Deep South» der USA, zu dem die Staaten von Louisiana bis South Carolina gezählt werden, in denen die meisten Sklaven gehalten wurden. Über die Entwicklung des Blues und Einflüsse von sogenannten «Work Songs» und Spirituals finden sich unzählige Veröffentlichungen, die ich hier nicht wiederholen möchte. 

Klang

Das Album klingt halt, wie Monoalben aus jener Zeit klingen: Nichts Aussergewöhnliches, doch auch nicht Negatives. 

Zwei Punkte möchte ich nicht unerwähnt lassen: Der Bass wird für meinen Geschmack (nicht nur aufnahmetechnisch) zu «stiefmütterlich» behandelt, doch das war damals so: Zwar musste er das rhythmisch–musikalische Fundament bilden, kam jedoch solistisch kaum zum Zug. 

Und der zusätzliche Hall, der dem Saxophon und z.T. auch der Flöte beigemischt wurde, klingt ab und zu unecht und erinnert mich an meine «Great British Spring», also an Federhall. 

Doch das Remastering wurde geschmackvoll und glücklicherweise ohne all zu grosse Eingriffe in den Originalklang erledigt.

Fazit

Es ist bekannt, dass Milt Jackson die 12–Takt Blues Progression liebte und lebte. Dieses Album ist einer der ersten Zeugen dieser Liebe. Es ist aus meiner Sicht vor allem für Leute, die selbst Musik machen besonders interessant, denn die ausgedehnten Improvisationen sind reif fürs Lehrbuch. Es war eine meiner ersten LPs, und ich finde sie auch heute noch empfehlenswert, selbst wenn kein Neuland betreten wurde.

Steckbrief

Interpret:


Besetzung:






Albumtitel:


Label:


Erscheinungsdatum:


Spieldauer:


Tonformat:


Aufnahmedetails:


Musikwertung:


Klangwertung:


Rezensionsdatum:

Milt Jackson


Milt Jackson, Vibraphone

Frank Wess, Flute, Tenorsax

Hank Jones, Piano

Eddie Jones, Bass

Kenny Clarke, Drums


«Opus De Jazz»


Savoy/RevOla


1955/2019


33:43


Flac FLAC 24–Bit 44.1 kHz – Mono


(Nicht Stereo, wie bei Qobuz angepriesen)


8


6


20. März 2021